Sein Leben lang hatte sich Giovanni zwiegespalten gefühlt, hin und her gerissen zwischen Sinn und Sinnlichkeit, seiner Sehnsucht nach Spiritualität und einem sinnerfüllten Leben und dem unablässigen Drängen seines Geschlechts.
Als sie dann in sein Leben trat, jung, weiblich, duftend, mit leuchtenden Augen und großem Interesse an allem, was Giovanni dachte und tat, da fühlte er sich endlich ganz. Doch erst jetzt, fast dreißig Jahre später, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, was doch die ganze Zeit so naheliegend war:
Meine Seele
lange gesucht
tief verborgen
in meinem Inneren
vergeblich
Heute weiß ich:
Wenn du mich berührst
atmet meine Seele auf
Wenn du mich küsst
tanzt meine Seele in mir
Wenn ich mich an dich schmiege
findet meine Seele Ruhe
Meine Seele
steckt
in meiner Haut
So naheliegend
Giovanni Vandani, Naheliegend
aus: Spiele mir auf meiner Flöte, 2021
Seine Seele ist leiblich, sein Leib ist beseelt. Es hatte Jahrzehnte gebraucht, bis diese Erkenntnis aus dem Kopf hinabgesickert war ins Herz, in den Bauch und tiefer. Keine Seele, gefangen im Körper, die nach dem Tod aus dem Gefängnis sich löst und, endlich frei, zum Himmel entschwebt. Der ganze Mensch eine atmende, lechzende Seele, eine Seele von Fleisch und von Haut, ein Leib, bis in die letzte Zelle, bis in die Spitze des zuckenden Gliedes beseelt.
Das war sie, die Befreiung zur Ganzheit und blieb doch nur halb ohne die Ergänzung, die Gott ihr erschuf, die Frau für den Mann, den Mann für die Frau. Und es gab und gibt wohl noch vieles dazwischen. Allein bleibt der Mensch letztlich doch ohne Liebe, denn Liebe sucht immer das zu liebende Du.